Neue Forschungen, veröffentlicht in Science Advances, stellen bisherige Annahmen über die Ernährungsgewohnheiten von Neandertalern in Frage. Wissenschaftler der Universität Bordeaux und der Universität von Michigan legen nahe, dass unsere ausgestorbenen Verwandten nicht nur frisches Fleisch von Großwild verzehrten, sondern auch Maden als wichtigen Bestandteil ihrer Diät nutzten. Diese Entdeckung könnte die erhöhten Stickstoffwerte in Neandertalerknochen erklären, die bisher als Beweis für eine extreme Fleischdiät galten.
Die Studie stützt sich auf die Hypothese des Anthropologen John Speth von der University of Michigan, der bereits vor einem Jahrzehnt vermutete, dass verrottetes Fleisch und die darin lebenden Maden eine Rolle in der prähistorischen Ernährung spielten. Melanie Beasley, eine biologische Anthropologin an der Purdue University, hat diese Theorie experimentell untermauert. Ihre Analysen von sich zersetzendem Gewebe und den darin lebenden Maden zeigten, dass die Maden einen deutlich höheren Gehalt an Stickstoff-15 aufwiesen als das Fleisch selbst. Dies liefert eine plausible Erklärung für die hohen Stickstoffwerte in Neandertalerknochen, die bisher als Indikator für eine hyperkarnivore Lebensweise interpretiert wurden. Frühere Annahmen sahen Neandertaler als „Hyperkarnivoren“, die sich fast ausschließlich von Fleisch ernährten. Die neuen Erkenntnisse deuten jedoch darauf hin, dass der Verzehr von Maden, die das Fleisch in eine fettreichere und nährstoffreichere Substanz umwandeln, zu diesen hohen Stickstoffwerten beigetragen haben könnte. Dies ist auch aus ernährungsphysiologischer Sicht sinnvoll, da der menschliche Körper eine übermäßige Aufnahme von reinem Protein ohne ausreichende Fett- und Kohlenhydratzufuhr nur begrenzt verträgt und dies zu Mangelerscheinungen führen kann. Die Idee, dass Maden Teil der Neandertaler-Diät waren, findet Unterstützung in historischen Berichten. Der Polarforscher Knud Rasmussen dokumentierte bereits 1931, dass Inuit-Völker genussvoll verrottetes Fleisch mit Maden verzehrten. Auch in anderen Kulturen, wie beispielsweise bei der Herstellung des sardischen Käses Casu Marzu, bei dem Käse absichtlich mit Maden fermentiert wird, zeigt sich die Akzeptanz solcher Lebensmittel. Diese Parallelen unterstreichen, dass der Verzehr von Maden in verschiedenen Gesellschaften und Epochen als eine praktikable und nahrhafte Nahrungsquelle angesehen wurde. Diese neuen Erkenntnisse erweitern unser Verständnis der Neandertaler-Ernährung erheblich und zeichnen das Bild einer anpassungsfähigeren und einfallsreicheren Spezies. Anstatt sich ausschließlich auf die Jagd zu verlassen, nutzten sie offenbar auch die Ressourcen ihrer Umwelt auf eine Weise, die wir heute vielleicht als ungewöhnlich empfinden würden, aber die für ihr Überleben von entscheidender Bedeutung war.